Theorie und Praxis – im dualen Studium perfekt synchronisiert
Ausgerechnet heute hat der ICE fünf Minuten Verspätung. Fünf Minuten Zeit, um die Gedanken schweifen zu lassen, während die Bahnhofsuhr den Verzug Minute um Minute mit gnadenloser Präzision dokumentiert. Woher weiß die Bahn eigentlich, wie spät es ist? Gehen die Uhren auf allen Bahnhöfen gleich? Wie machen die das bei der Umstellung auf Sommerzeit? Haben auch hier Ingenieure ihre Hände im Spiel? Ja, natürlich – und zwar die der Firma Bürk Mobatime GmbH in Schwenningen, einem mittelständischen Unternehmen aus dem Schwarzwald. Unter ihnen: Julia Seeger, 19 Jahre jung, Studentin des Wirtschaftsingenieurwesens an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Aber zuerst erläutert ihr Chef, was seine Firma mit den Bahnhofsuhren zu tun hat.
„Seit 1999 rüsten wir die Deutsche Bahn AG mit Zeitdienstanlagen aus“, erzählt Geschäftsführer Stephan Herrmann: „Wir liefern autonome Funkuhren, aber auch komplexe Uhrenanlagen mit mehreren Hauptuhren und einer Vielzahl von Nebenuhren.“ Beides ist gefragt, denn in weitläufigen Gebäuden wie einem Großstadtbahnhof oder gar in S-Bahn-Tunnels haben Funkuhren, die sich mit dem auf Langwelle gesendeten DCF77-Zeitsignal synchronisieren, keinen zuverlässigen Empfang. Aber nicht nur Bahnen nutzen Zeitdienstanlagen von Bürk, sondern auch Flughäfen, Kliniken, Fabriken oder Fernsehsender.
Zeit zu messen hat hier am Schwarzwaldrand viel Tradition. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Schwenningen zur Hochburg der Uhrenindustrie. Die Uhrenfabrik Bürk, aus der die heutige Bürk Mobatime GmbH hervorging, gehörte zu den Pionieren. Gegründet 1855, florierte über viele Jahrzehnte insbesondere der Bau von Stechuhren, die von der wachsenden Industrie in Massen benötigt wurden. Auch heute gehören Zeiterfassungssysteme für Unternehmen zum Produktprogramm – Mechanik ist allerdings längst passé, alles funktioniert elektronisch mit Chipkarten, synchronisiert durch sogenannte Zeitserver im Firmennetz. Seit 1997 gehört Bürk Mobatime zur Schweizer Mobatime-Firmengruppe. „Wir betreuen die Kunden in Deutschland und Österreich“, beschreibt Herrmann seine Aufgaben: „Weil dazu aber auch weltweit tätige Systemintegratoren gehören, bearbeiten wir Projekte rund um den Globus – bis hin zur Metro in Neu-Delhi.“ Die vier Ingenieure im etwa 20-köpfigen Team stehen als Anwendungstechniker und Vertriebsingenieure im direkten Kontakt mit den Kunden und schneidern für jedes Projekt aus den Produkten und Systemen der Firmengruppe eine Lösung nach Maß: Ob für den Deutschen Bundestag in Berlin oder für eine Zahnarztpraxis im Nachbarort. Englischkenntnisse sind Pflicht, und immer wieder stehen auch Reisen zur Inbetriebnahme von Zeitdienstanlagen an exotischen Destinationen auf dem Programm. Die Aussicht auf eine so abwechslungsreiche Tätigkeit motiviert Julia Seeger für ihr anspruchsvolles duales Studium. „Mathe, Wirtschaft und Physik haben mir auf der Schule genauso viel Spaß gemacht wie Fremdsprachen“, berichtet sie. „Der Studienberater schlug mir das Wirtschaftsingenieurstudium vor, und ich informierte mich auf den Websites der entsprechenden Hochschulen.“ Schnell war ihr klar, es soll ein duales Studium sein, das Berufspraxis und Theorie von Anfang an verbindet. „Ich brauche einfach den Anwendungsbezug, damit ich Spaß am Lernen habe.“ Julia Seeger bewarb sich bei mehreren Firmen – doch letztlich entschied sie sich für Bürk Mobatime, wo sie die erste duale Studentin ist. Ein Grund für das gegenseitige Vertrauen: Man kennt sich, denn auch Vater Seeger arbeitet bereits seit vielen Jahren bei Bürk – als Elektrotechnikingenieur. Auf den ersten sechswöchigen Ausbildungsblock im Unternehmen, bei dem sie alle Mitarbeiter und Bereiche bei Bürk in Schwenningen kennenlernte, folgte der erste Seminarblock am Standort Horb der DHBW. „Das Tolle ist die Bandbreite der Vorlesungen von Technik über Wirtschaft bis zu Sprachen“, findet Julia Seeger: „Ich habe jetzt einen Chinesisch-Kurs belegt.“
Aktuell büffelt sie bereits für die ersten Prüfungen. Wenn ihr der Kopf doch einmal zu sehr qualmt, greift die Studentin zur Querflöte oder in die Tasten des Klaviers. „Beim Musikmachen kann ich am besten abschalten.“ Ihr Rat an Schüler in der beruflichen Orientierung: „Information ist alles. Redet mit vielen Leuten über eure Berufswünsche und Vorstellungen; nutzt Praktika, um das Berufsleben und eure Stärken kennenzulernen.“